Woche der Demenz 7.Tag 27.09.2020- Ein ganz normaler Tag

Ein ganz normaler Tag….

 in einem Altenheim aus der Sicht eines Menschen mit Demenz

 Auch wenn der Tag eines Menschen mit Demenz voller Hürden und Hindernisse zu sein scheint, ist nie alles nur schlimm. Die Gefühlslage wechselt ständig, je nach von außen kommenden Impulsen. Manche Situation kann durch einfühlsames Handeln positiv gestaltet werden: Dies setzt jedoch ein „sich in den Gegenüber einfühlen können“ voraus. Dafür soll diese kleine Geschichte sensibilisieren.

 Denkmal Demenz AWO SZ Am Rosengarten

 

Ein ganz normaler Tag…..

 

Ich werde wach und frage mich wo ich bin. Jeden Tag aufs Neue. Die Möbel kenne ich nicht und dennoch ist mir dieses Zimmer vertraut. Ich lasse meine Blicke schweifen, da ist mein Hochzeitsfoto – ach war das ein schöner Tag!

Wo ist eigentlich mein Mann? Ich glaube er ist nicht mehr da. Traurigkeit steigt in mir hoch. Meine Blicke schweifen weiter und Glück wechselt dem Gefühl der Traurigkeit. Ich schaue auf das Foto meines Sohnes. Wie stolz ich auf ihn bin. Er ist ein guter Junge.

 Eine junge Frau betritt das Zimmer und wünscht mir freundlich einen „Guten Morgen“. Sie kommt mir bekannt vor, ich kenne jedoch ihren Namen nicht. Ich bin so vergesslich geworden. Früher hatte ich ein sehr gutes Namensgedächtnis und sprach alle Stammkunden in meiner Bäckerei mit dem Namen an. Heute ist alles anders. Die junge Frau erinnert mich daran, dass es Zeit wird aufzustehen. Ich setze mich auf die Bettkante und weiß schon nicht mehr wie es weiter geht. Ich schau die junge Frau hilflos an.

 Sie gibt mir Hilfestellung und begleitet mich ins Bad. Ich wusste nicht mal, dass hinter dieser Tür ein Badezimmer ist. Was ist nur mit mir los? Mich macht diese Vergesslichkeit zornig und gereizt. Die junge Frau sagt mir was ich tun soll. Als ob ich das nicht selbst wüsste. Da kommt so ein junges Ding und will mir erzählen, dass ich mich waschen soll. Ich komme mir bevormundet vor und zische ihr zu „Das weiß ich selbst“! 

Dann stehe ich aber vor dem Waschbecken und weiß nicht mehr wie es weiter geht. Wo ist denn die Seife? Die junge Frau reicht mir eine Flasche und drückt oben auf ein Hähnchen und da kommt eine blaue Flüssigkeit auf meinen Waschlappen getropft. Früher sah meine Seife anders aus. Der ganze moderne Kram macht mich ganz verrückt.

 Irgendwann ist dann die Morgentoilette geschafft und ich bin angezogen. Jetzt bin ich völlig geschafft. Die junge Frau ist noch immer da und sagt ich soll in die Wohnküche gehen. Ja wo war die noch mal? Wo bin ich überhaupt?

 Ich gehe aus der Tür des Zimmers und stehe auf einem langen Flur. Viele Türen und ich öffne eine davon und schau hinein. Da schreit mich ein alter Mann an „Raus“! - was für ein Benehmen. Ich habe nicht die Zeit ihm meinen Missmut zu bekunden, weil ich die Flucht ergreife. Er drohte mir mit seinem Stock. Ich will weg, nach Hause. Hier fühle ich mich bedroht, unsicher und ich weiß nicht wohin ich soll. Eine weitere Türe zu öffnen trau ich mich nicht. Eine etwas ältere Frau kommt freundlich auf mich zu, hakt sich bei mir unter und spricht mich mit meinem Namen an. Sie kennt mich. Endlich mal jemand, der mich kennt. Ich sage ihr dass ich nicht weiß wohin ich gehen soll und ich frage sie, ob sie mir den Weg nach Hause zeigen kann.

Sie sagte ich solle erst mal Frühstücken. Das klingt gut. Sie begleitet mich in einen Raum, wo schon einige Menschen sitzen. Ich bekomme einen Platz zugewiesen und mir werden frische Brötchen und herrlich duftender Kaffee hingestellt. Kaffee tut jetzt gut.

 Ich mache mir Sorgen, als ich feststellen muss, dass ich meine Handtasche nicht dabei habe und darin ist meine Geldbörse. Ich kann also den lecker duftenden Kaffee nicht bezahlen. Was mach ich nur? Ich stehe auf, aber bevor ich den Raum verlassen kann, ruft eine Dame mir zu ich solle mich wieder auf meinen Platz setzen und frühstücken. Na wenn die es sagt…. ich frühstücke. Wie gut das war.

Leider habe ich nun klebrige Hände und meine Versuche diese mit der Serviette zu säubern haben zur Folge, dass sich das Papier der Serviette auflöst und zusätzlich an meinen Händen kleben bleibt. Die junge Dame hinter dem Tresen muss mein Bemühen erkannt haben, denn sie bringt mir ein feuchtes Tuch und ein Handtuch. Jetzt geht es mir besser.

 Ich würde jetzt gerne noch etwas schlafen und stehe auf. Ich muss mein Bett suchen und verlasse den Raum. Wieder die vielen Türen. Ich geh nach Hause. Da kenn ich mich aus und weiß wo mein Bett steht. Nach Hause? Wo ist das und wie komme ich da hin? Ich frage eine Frau, die geschäftig an mir vorbei läuft. Sie dreht sich kurz um und antwortet: „Sie sind doch hier zu Hause. Sie wohnen doch jetzt hier“ und geht weiter.

 Was hat sie gesagt? Ich wohne jetzt hier? Sie muss sich irren. Ich laufe weiter. Ich komme mir vor wie in einem Irrgarten. Viele Türen und kein Ausgang. Irgendwie war ich schon mal hier und ich laufe weiter. Angst macht sich breit und ich gerate fast in Panik. Mir geht die Luft aus und ich habe immer noch keine Lösung für mein Problem gefunden. Ich rufe laut „Hallo, kann mir jemand helfen?“ ..immer und immer wieder. Endlich kommt jemand.

 Den jungen Mann kenne ich, irgendwoher. Er erscheint mir wie mein Retter in der Not und das sage ich ihm auch. Er freut sich und hakt sich bei mir unter. Ich bitte ihn mich nach Hause zu bringen. Er schüttelt bedauernd den Kopf und sagt „Leider kann ich hier nicht weg. Ich muss noch etwas arbeiten, aber später sehen wir mal, was wir für Sie tun können.“ Das verstehe ich. Pflichtbewusstsein ist wichtig. Er lädt mich ein an der Gymnastikrunde teilzunehmen und ich wäre dumm, wenn ich ihn aus den Augen verlieren würde. Er ist meine Rettung. Also lass ich ihn nicht vom Haken.

 Die Gymnastikrunde ist lustig. Es macht Spaß den Luftballon hin und her zu schubsen. Das bringt viele Erinnerungen. Ich sehe mich als Kind mit einem Luftballon spielen. Luftballons, waren sehr rare Artikel in meiner Kinderzeit. Ich muss lachen. Denn plötzlich platzt der Ballon und einige der Anwesenden kreischen laut. Ein neuer Ballon wird aufgepustet. Jetzt fällt mir mein Sohn ein. Auch er hatte viel Freude am Spiel mit Luftballons.

Ich frage den jungen Mann ob er weiß wo mein Sohn ist. Er antwortet, dass mein Sohn sicher arbeiten ist, so fleißig wie er ist und so gut wie ich ihn erzogen habe. Das freut mich und ich bin beruhigt. Ich bin stolz auf meinen Sohn. Er ist ein guter Junge.

 Ich stehe auf und will gehen. Der junge Mann bittet mich noch zu bleiben. Ich würde ihm den Gefallen gerne tun, wenn ich nicht dringend zur Toilette müsste. Aber ich sag ihm das nicht, ich trau mich nicht - er ist doch ein Mann. Also bin ich wieder auf der Sucheund wieder Türen und nichts als Türen. Langsam wird es eng. Ich treffe eine ältere Dame und frage sie nach der Toilette. Sie schaut stumm durch mich hindurch und reagiert nicht. Menschen gibt’s. Ich rege mich über diese Unhöflichkeit auf und gehe weiter. Langsam bekomme ich Schweißperlen auf der Stirn. Und dann ist es passiert. Ich fange an zu weinen. Was ist aus mir geworden? Ich will nach Hause. Nach Hause, wo ich mein Bett finde, wo mir der Weg zur Toilette vertraut ist, wo mein Sohn mich findet und wo mich die Nachbarin besucht….die Tränen laufen unaufhaltsam.

Eine junge Frau kommt auf mich zu und versucht mich zu trösten. Sie schaut an mir herunter und mir wird ganz heiß. Jetzt fliegt`s auf. Ich erkläre ihr, dass ich mich in irgendwas Nasses gesetzt haben muss und tue völlig unbeteiligt. Ich bitte sie, mir zu zeigen, wo ich frische Kleidung herbekomme. Sie erzählt mir, dass sie sich auch schon auf eine nasse Bank gesetzt habe und wie unangenehm das war. Rasch habe ich saubere und vor allem trockene Kleidung an und bitte die junge nette Frau mich nach Hause zu begleiten. Sie ist so freundlich, dass sie mich noch zum Mittagessen einlädt. Das ist doch richtig nett. Und diese Einladung nehme ich gerne an. Sie zeigt mir wo ich Platz nehmen darf und ich bekomme ein leckeres Essen. Jetzt bin ich aber müde. So richtig satt und müde.

 Die junge Frau kommt wieder und fragt mich, ob ich ein Mittagsschläfchen halten möchte. Als ob sie es gerochen hat – sie begleitet mich in ein Zimmer, welches mir irgendwie vertraut vorkommt. Da ist mein Hochzeitsbild. Wo ist eigentlich mein Mann? Und da ist das Bild meines Sohnes. Er ist ein guter Junge!

Ich schlafe ein und träume von vergangenen glücklichen Zeiten.

 Ich werde wach und frage mich wo ich bin. Immer wieder…. Die Möbel kenne ich nicht und dennoch ist mir dieses Zimmer vertraut. Ich lasse meine Blicke schweifen, da ist mein Hochzeitsfoto – ach war das ein schöner Tag. Wo ist eigentlich mein Mann? Ich glaube er ist nicht mehr da. Traurigkeit steigt in mir hoch. Meine Blicke schweifen weiter…und Glück wechselt dem Gefühl der Traurigkeit. Ich schaue auf das Foto meines Sohnes. Wie stolz ich auf ihn bin. Er ist ein guter Junge.

 Ich habe keine Ahnung wie spät es ist. Ist Abend oder Morgen? Ich fühle mich zeitlos, haltlos, ziellos, mutlos und verzweifelt.

Ich bleibe am Besten im Bett. Hier fühle ich mich sicher und geborgen. Gedanken kommen und gehen, sie fliegen davon um wieder in meinem Kopf einzubrechen. Aber nur Bruchstücke. Ich bekomme vieles in meinem Kopf nicht mehr geordnet, ganz gleich wie ich mich bemühe. Was ist nur los mit mir?

 Eine junge Frau kommt in das Zimmer und fragt mich ob ich zum Nachmittagskaffee komme. Aha, es ist Nachmittag. Gut zu wissen. Ich frage sie, ob sie mir sagen kann wo ich die Cafeteria finde. Sie scheint mich etwas verständnislos anzuschauen, bietet mir jedoch an mich dahin zu begleiten. Ich stehe auf und zupfe meine Kleidung zurecht. Alles muss schnell gehen, sonst ist die nette junge Frau möglicherweise wieder weg. Ob ich noch mal nach der Toilette frage? Ich tue es einfach. Sie öffnet eine Tür in dem Zimmer – ich wusste nicht dass dort eine Toilette ist. Gut zu wissen!

 Der Nachmittagskaffee ist lustig. Es laufen die mir sehr vertrauten Ohrwürmer im Radio. Ich singe den „kleinen grünen Kaktus“ lautstark mit. Ich habe großen Spaß. Ein Mann an meinem Tisch schreit „Ruhe“ – was geht mich der Mann an und ich singe weiter. Ich lass mir meinen Spaß nicht verderben.

 Plötzlich streichelt mir jemand sanft über den Rücken. Ich drehe mich um und schaue in das Gesicht eines stattlichen Mannes, der mir seltsam vertraut vorkommt.

Er begrüßt mich mit den Worten: „Hallo Mutter“ – es ist mein Sohn. Glückseeligkeit erfüllt mein Herz. Jetzt ist alles gut. Obwohl ich ein klein wenig irritiert bin. Ich hatte ihn ganz anders in Erinnerung. Er ist erwachsen geworden und ich habe es nicht bemerkt. Wie seltsam. Aber er tut mir gut. In seiner Nähe fühle ich mich geborgen und sicher. Wir gehen spazieren. Ich freue mich über die Blumen und die Sonne, die meine Nase kitzelt. Er erzählt mir von Menschen, die ich kennen sollte, aber von denen ich nichts mehr weiß. Meine Vergesslichkeit. Aber ich tue so, als ob ich bestens bescheid weiß. Er soll sich keine Sorgen machen. Er hat genug um die Ohren. Er ist ein guter Junge.

Er bringt mich zurück in den Raum mit den anderen Menschen. Ich flehe ihn an, mich mit nach Hause zu nehmen. Ich klammere mich an ihn. Auch er sagt mir, dass ich jetzt hier wohne. Ich lasse resigniert die Arme hängen. Ich sehe Traurigkeit und Schmerz in seinen Augen. Er verabschiedet sich und geht.

 Geschirr klappert und ich werde gefragt, ob ich helfe die Tische einzudecken. Die Damen sind sehr freundlich. Es wäre unhöflich nicht zu helfen und sie haben ja so viel zu tun. Ich lege Servietten auf jeden Platz. Es macht mir Freude. Früher hatte ich auch oft Gäste und alle haben sich bei mir wohl gefühlt. Ein Lächeln stiehlt sich in mein Gesicht. Ich sehe in meinen Gedanken viele vertraute Gesichter am Tisch bei uns zu Hause sitzen. Ich war eine gute Gastgeberin, eine fleißige Hausfrau und eine gute Mutter.

Wo ist mein Sohn? Warum kommt er nicht? Ich habe große Sehnsucht nach ihm. Hab ich ihn doch so lange nicht gesehen. Ich frage eine der Damen nach ihm. Sie sagt er sei doch heute hier gewesen.

Und wieso hat er sich bei mir nicht gemeldet? Wieso ist er gegangen, ohne mich zu besuchen?

 Nach dem Abendessen weiß ich mal wieder nicht wie es weiter geht. Ich wende mich an eine junge Frau. Sie fragt mich, ob ich in mein Bett möchte. Mein Bett? Ich habe hier ein Bett? Na wenn dem schon so ist, kann ich mich auch ein wenig darin ausruhen und bitte sie mir dieses „mein Bett“ zu zeigen.

Sie bringt mich in ein Zimmer, von dem sie sagt, es sei „mein“ Zimmer. An der Tür steht sogar mein Name. Im Zimmer entdecke ich noch eine Tür, mit einem Hinweisschild „Toilette- WC“ und einem netten Bildchen – das gibt mir ein gutes Gefühl.

 Die Möbel kenne ich nicht und dennoch ist mir dieses Zimmer vertraut. Ich lasse meine Blicke schweifen, da ist mein Hochzeitsfoto – ach war das ein schöner Tag. Wo ist eigentlich mein Mann? Ich glaube er ist nicht mehr da. Traurigkeit steigt in mir hoch. Meine Blicke schweifen weiter…und Glück wechselt dem Gefühl der Traurigkeit. Ich schaue auf das Foto meines Sohnes. Wie stolz ich auf ihn bin. Er ist ein guter Junge……

 ©Birgit Mai

Fachberaterin Demenz

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Welt-Alzheimertag /Start in die Woche der Demenz 2020 - 21.09.2020:Ein Brief an das Pflegepersonal

Liebes Pflegepersonal,

 nun hab ich die Diagnose Demenz schriftlich. Ich habe es schon geahnt, wollte es jedoch lange nicht wissen. Ich bin zerstreut und meine Zettelwirtschaft wird immer größer. Wie lange noch kann ich allein und eigenständig leben? Wie lange noch kann ich meine Wünsche und Bedürfnisse ausdrücken? Mein Wunsch ist es in ein Pflegeheim zu gehen, wenn ich meinen Alltag nicht mehr meistern kann. Meine Kinder sollen ihr eigenes Leben leben dürfen.

Ich mache mir Gedanken wie mein Leben in einem Altenheim sein wird und weil ich nicht weiß, ob ich Ihnen dann noch mitteilen kann, was mir wichtig ist, schreibe ich Ihnen diesen Brief:

Ich versuche Ihnen meine Wünsche und Bedürfnisse mitzuteilen, in der Hoffnung, dass Sie darauf eingehen und wir gut miteinander kooperieren.

Ich bin ein Mensch, wie jeder andere. Mit Hoffnungen, Sehnsüchten und auch Eigenheiten. Ich bin ein Mensch, der sein Leben bis zur Erkrankung gut gemeistert hat. Eigenständigkeit und Selbstbestimmung war mir immer sehr wichtig. Wurde mir diese eingeschränkt, reagierte ich schon immer mit Rebellion. Meine Eltern schon hatten es nicht immer leicht mit mir. Jede Art von Druck erzeugte in mir Gegendruck. Ich frage mich, wie ich in meiner Demenz auf das Gefühl des Druckes regiere, wenn ich meine Hemmschwelle für soziale Normen verliere und wie Sie damit umgehen werden. Meine größte Angst ist, dass ich dann als „verhaltensauffällig“ abgestempelt und mit Psychopharmaka „mundtot“ gemacht werde.  Das würde ich nicht wollen und auch nicht verstehen. Vermutlich würde ich mich anfangs dagegen wehren und Ihnen die Tabletten entgegenspucken. Oder wenn ich noch lichte Momente habe, die Tabletten sammeln.

Das Wort „Du musst“ sollten Sie völlig aus Ihrem Wortschatz löschen, wenn Sie meine Kooperation erwarten. Ein beliebter Spruch von mir war schon immer: „Ich muss gar nix“. Ich glaube auch nicht, dass sich diese Lebenseinstellung in meiner Demenz ändert.

Ich werde jetzt gedanklich durch den Tag gehen und meine Bedürfnisse für Sie erfassen.

Morgens möchte ich gerne ausschlafen. Mein ganzes Leben lang habe ich gearbeitet und war an Zwänge gebunden. Im Alter würde ich gerne etwas länger schlafen, denn ich verpasse ja nichts. Außerdem sollten Sie wissen, dass ich etwas unleidlich werde, wenn man mich weckt. Und wenn ich unleidlich sage, dann ist das noch untertrieben, denn ich werde sehr übellaunig. Ich glaube nicht, dass ich dann bereit bin, mich an der Morgentoilette zu beteiligen oder diese zuzulassen.

Leider können Sie auch von mir in meiner Demenz nicht erwarten, dass ich kooperiere. Denn ich sehe nur mich und meine Bedürfnisse. Allen logischen Erklärungen kann ich nicht mehr folgen und ich bin blockiert von meinem Zorn und meiner Übellaunigkeit.

Lassen Sie mich jedoch ausschlafen und unterstützen Sie mich beim Duschen ohne (Zeit-) Druck, kommen Sie sicher gut mit mir klar.

Tägliches Duschen vor dem Frühstück ist für mich Alltagsnormalität. Manchmal habe ich zuvor eine Tasse Kaffee getrunken und ein Zigarettchen geraucht. Vielleicht erleichtert mir das das wach werden. Außerdem wäre es gut, wenn Sie mich dann auf die Toilette begleiten, denn dies ist zugleich mein „Abführmittel“. Bevorzugte Pflegemittel habe ich nicht. Aber wenn Sie mir ab uns zu einen Spritzer Chanel No 5 auflegen, gibt dies mir das Gefühl von Luxus. Ich liebe es!

Ich trage gerne bequeme Kleidung. Nichts ist schlimmer als wenn die Jeans den ganzen Tag kneift. Da ich dann bei Ihnen zu Hause bin, wäre es schön, wenn ich mich in meiner bequemen Kleidung wohl fühlen könnte. Wie sollte ich Ihnen denn in meiner Demenz mitteilen, dass die Hose kneift und ich mich nicht selbst aus dieser Situation befreien kann. Ein bequemer BH ist für mich äußerst wichtig! Schon immer fand ich es entwürdigend alte Menschen zu sehen, deren Busen ohne BH über den Bund hängt. Schon immer habe ich für mich beschlossen, dass ich das mal nicht so für mich haben möchte.

Ich bin kein eitler Mensch, aber meine Kleidung sollte sauber sein. Wenn Sie mich zu Veranstaltungen mitnehmen, dann wünsche ich mir schöne Kleidung. Das habe ich schon immer so gehalten.

Zum Frühstück esse ich gerne herzhaft. Brötchen mit Käse oder Wurst und zum Abschluss etwas Süßes – ein halbes Marmeladenbrötchen. Meinen Kaffee trinke ich schwarz! Bitte, das ist mir ganz wichtig! Ich trinke meinen Kaffee auch noch kalt, also räumen Sie ihn bitte nicht ab. In meiner Kindheit durfte ich zum Essen nichts trinken, „damit ordentlich gegessen wird“ – und erst nach dem Essen gab es ein Getränk. Also wundern Sie sich nicht. Seltsamerweise habe ich dies mein Leben lang so praktiziert.

Nach dem Frühstück würde ich mich gerne wieder ins Bett legen oder im Sessel dösen. Sie müssen mich jetzt nicht „aktivieren“. Im Fernsehen können Sie mir dabei gerne irgendeine schwachsinnige Talkshow einstellen, dabei kann ich besonders gut entspannen. Falls ich nicht vergessen habe, dass ich Raucherin bin, würde ich nach dem Frühstück gerne ein Zigarettchen rauchen. Leisten Sie mir dabei doch Gesellschaft!

Den Vormittag verbringe ich gerne in Ruhe und mit meinen eigenen Gedanken. Ich muss die vielen Leute Ihres Wohnbereiches nicht dauernd um mich herum haben. Sie müssen mich nicht integrieren, sondern ich bin gerne allein.

Auf das Mittagessen freue ich mich. Ich esse gerne. Man sieht dies auch an meiner fülligen Figur und ich hoffe Sie lassen mich nicht hungern um mich auf einen „normalen“ BMI zu bringen. Mein BMI war nie normal! Ich mag Hausmannskost, gerne Spaghetti und Hackfleischsoße, Schnitzel, Rouladen und Rotkohl, weniger mag ich zu Mittag Süßspeisen wie Pfannkuchen oder Reibekuchen. Ich weiß, in meiner Demenz kann die ganz anders sein. Probieren Sie einfach was geht.

Machen Sie meinen Teller bitte nicht zu voll. Als Kind musste ich immer den Teller leer essen, Vater saß drohend neben mir und zwang mir das inzwischen oft kalte Essen rein. Nötigen Sie mich bitte nicht! Darauf reagiere ich, wie schon anfangs beschrieben. Je mehr Druck, um so weniger erreichen Sie was Sie wollen.

Jetzt wäre ein Espresso gut. Der hilft mir mich wohl zu fühlen und setzt meine Verdauung in Gang. Zum Espresso ein Zigarettchen und Sie machen mich glücklich!

Mittagsschlaf habe ich nie gehalten, ich habe mich oft auf die Couch gelegt und habe mich berieseln lassen von irgendwelchen Talkshows. Ruhen war immer erholsamer, als schlafen (eben wegen dieser Übellaunigkeit). Für eine kuschelige Decke dabei, wäre ich Ihnen dankbar.

Ob ich den Nachmittagskaffee annehme weiß ich nicht, ich brauchte diesen nie. Aber ich komme schon mal auf die Idee am Abend Lust auf einen Kaffee zu haben. Schlafstörungen hatte ich deswegen nie.

Nachmittags hätte ich gerne Bespaßung! Dabei zu sitzen und zu beobachten, vielleicht Kommentare abzugeben, das reicht mir. Gymnastik war nie mein Ding und ein großartiger Sänger bin ich auch nicht. Für Spaß aber bin ich immer zu haben!

Abends möchte ich gerne ein Betthupferle auf meinem Nachttisch haben. Auch wenn ich es nicht esse, gibt es mir doch ein gutes Gefühl. Wenn ich nachtaktiv sein sollte, schonen Sie das Budget meines Hausarztes. Ich brauche keine Schlafmittel. Eine Weinschorle füllt Flüssigkeit auf und lässt mich wunderbar schlafen, Rotwein bevorzuge ich im Winter. Dazu hätte ich dann aber gerne ein Glas Wasser.

Ich frage mich woher Sie all diese für sie wichtigen Informationen herbekommen würden, wenn ich diesen Brief nicht geschrieben hätte. Ich glaube nicht, dass meine Tochter Ihnen diese Informationen hätte geben können.

Wenn Sie sich an diesen Informationen orientieren, kann ich mir vorstellen, dass wir gut miteinander auskommen. Vor allem fühle ich mich von Ihnen in meinen Bedürfnissen verstanden. Sich verstanden zu fühlen, hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Meine eigene Lebenseinstellung ist wertschätzender Umgang mit allen Menschen. Ob es der Obdachlose auf dem Mainzer Domplatz ist, oder der Papst. Mein Lebensmotto war „Vor Gott sind alle Menschen gleich“. Ich wünsche mir, auch wenn ich Dinge tue, die Ihnen merkwürdig erscheinen, wenn ich mein gutes Benehmen vergesse, oder wenn ich den roten Knopf an der Klingel interessant finde, dass Sie dennoch respektvoll, also wertschätzend mit mir umgehen. Ich werde mich dafür entsprechend revangieren ! Denn wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus!

 

Viel Spaß mit mir!

 

Birgit Mai - Demenzfachberaterin - AWO Seniorenzentrum "Am Rosengarten" in Mainz

Woche der Demenz 2. Tag 22.09.2020 - Unser Netzwerkpartner : Die Kunsthalle Mainz

Die Sinne anregen

Das Team der Kunsthalle Mainz möchte durch besondere Formate den Ausstellungsbesuch für ganz unterschiedliche Besucher*innengruppen mit speziellen Bedürfnissen ermöglichen.

Seit dem vergangenen Jahr ist ein Teil unserer Aufsichts- und Kassenkräfte als Demenzlots*innen geschult. Das gleichnamige Projekt der Malteser möchte Menschen mit Demenz wieder in die Mitte der Gesellschaft bringen.

Zudem bietet die Kunstvermittlung spezielle Erkundungsformate durch die Ausstellung mit kleineren kreativen oder praktischen Anteilen an, um die Sinne der von Demenz Betroffenen anzuregen. Im Mittelpunkt steht dabei ein gemeinsames Erlebnis, das bei Kaffee startet und mit einem Rundgang durch die aktuelle Ausstellung abschließt, das zum Austausch einlädt und die Erinnerung anregt.

Beste Grüße Stefanie Böttcher Direktorin / Director

Tim Etchells: Let’s pretend (Large), 2014, Neonbuchstaben, Courtesy the artist and Vitrine Gallery Latifa Echakhch: Sans Titre (Les coquillages), 2016, MDF, Tusche, Muscheln, 84 x 40 x 40 cm, Courtesy of kamel mennour, Paris/London, kaufmann repetto, Mailand/New York, Dvir Gallery, Tel Aviv/Brüssel and the artist, Foto: Norbert Miguletz Lara Favaretto: Momentary Monument – The Library, 2012–2018, 2200 gefundene Bücher, 2200 Drucke auf Büttenpapier, Maße Bücherregal 11,37 x 2,92 x 0,5 m, Courtesy the artist, Foto: Norbert Miguletz Kunsthalle Mainz Am Zollhafen 3-5 55118 Mainz 06131/126935 www.kunsthalle-mainz.de

 

                                      

 

 

 

Bouleturnier WAT23

1. Mainz(er)-Bingener Bouleturnier für Menschen mit und ohne Demenz am Welt-Alzheimertag

                                                       -21.09.2023-


Bouleplatz im Volkspark Mainz, Göttelmannstr. 40, 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr

Siegerehrung, Kaffee, Kuchen im AWO Seniorenzentrum am Rosengarten.


Eine Mannschaft besteht aus 3-6 TeilnehmerInnen (gerne aus diversen Be-reichen: MitarbeiterInnen, Betroffene, Angehörige, Familien, Vereine usw.).

Melden Sie sich als Gruppe oder als Einzelperson an.

Anmeldeschluss: 13.09.2023
Informationen und Anmeldungen: Reiner Wissel, 06136 766 46 70 oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Kontaktbüro Pflege-Selbsthilfe c/o KISS Mainz Carola Beck, 06131 1 43 30 92, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Welt-Alzheimertag 2020 und die Woche der Demenz

 Ab dem 21. September können Sie anlässlich des Welt-Alzheimertages eine Woche lang täglich hier im Bereich "Aktuelles" einen Artikel zum Thema Demenz von verschiedenen Netzwerkmitgliedern lesen . Unser vielfältiges Netzwerk zeigt viele Seiten der Erkrankung und wie wir unterstützen möchten!

Viel Spaß dabei! 

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