Woche der Demenz 5.Tag 25.09.2020- Verhaltensbesonderheiten im Perspektivwechsel

Liebe Schwester Beate!

 Als Du letztens das Abendessen vorbereitet hast, habe ich trotz meiner Demenz gesehen, wie viel Du zu tun hast. Da ich mir nie zu schade war, mich um den Haushalt zu kümmern, wollte ich Dir gerne helfen. Ich weiß nichts von Hygienebestimmungen und auch nicht, dass ich es in meiner Demenz nicht mehr  so genau nehme mit der Körperpflege. Ich legte immer viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Dass ich dieses nicht mehr ohne Hilfe aufrechterhalten kann, ist mir nicht  bewußt.

Meine Hilfe hast Du etwas zögerlich angenommen, doch als ich Dir Arbeit abnehmen wollte und nach dem Messer griff, wolltest Du es mir nicht geben. Ich konnte das nicht verstehen.

Auch fehlt mir oft die Möglichkeit mich auszudrücken und so versuchte ich Dir das Messer aus der Hand zu nehmen. Kannst Du verstehen dass ich nur helfen wollte, wie ich es gewohnt bin? Nichtstun ist schrecklich. Auch ich habe, wie jeder Mensch das Bedürfnis zu etwas nütze zu sein. Ich hatte nie lange Weile in meinem Leben. Immer war irgendetwas zu tun. Nun aber laufe ich umher und weiß nicht wo mein Platz ist. Mir fehlt ein Lotse im Alltag, der mich führt und mir zeigt, wo ich mich nützlich machen kann. Das würde mir Selbstvertrauen schenken. So aber bin ich orientierungslos und das macht mir Angst. Diese Angst macht mich un- ruhig. Darum laufe ich oft orientierungslos und unruhig umher. Dass dies Euch nervt und dass Ihr Angst habt, dass ich mich verlaufen oder fallen könnte, auch das ist mir nicht bewusst.

Leider hat die Demenz mich auch meine Grenzen vergessen lassen. Ich kann eigene Gefahren nicht erkennen und auch nicht, dass ich andere Menschen verletzen könnte. Sei versichert, dass ich ohne meine Erkrankung niemals wissentlich jemandem Schaden zufügen könnte. Ich kann meine Emotionen nicht mehr steuern und leide selbst am meisten darunter. Ich weiß kurz nach einer eskalierten Situation schon nicht mehr was vorher war und verstehe all die Aufregung um mich herum nicht. Das macht mir Sorgen.

Hier leben so viele Menschen. Menschen die ich und die mich nicht mehr verstehen. Manchmal wird mir alles zu viel. Dann suche ich mein Zimmer. Wie oft finde ich mein Zimmer und da ist eine andere Person drin. Ich verstehe nicht, wenn diese sich aufregt und dann noch Verstärkung durch Dich, liebe Schwester Beate, bekommt. Ich soll aus meinem Zimmer gehen, aber wohin? Ich brauche doch auch ein zu Hause, aber wo ist das?

Letztens hatte ich meinen Pullover in der Hand. Dass es nicht meiner war, wußte ich nicht. Dann wolltest Du ihn mir wegnehmen, das konnte ich nicht verstehen und verteidigte ihn. Du hast nicht locker gelassen und mir gesagt er gehöre mir nicht. Damit hast Du mir Diebstahl unterstellt. Das hat mich sehr aufgebracht. Dabei will ich niemandem etwas Böses.

All Deine logischen Erklärungen sind für mich nicht hilfreich, auch nicht wenn ich spüre, dass Du sauer auf mich bist. Ich verstehe nicht warum. Deine innere Abwehr fordert mich heraus zur Gegenwehr, nach dem Motto: Wie man in den Wald hineinruft….

Mein Bedürfnis so zu leben, wie ich es immer gewohnt war, ist noch immer da. Mein Leben war Arbeiten und feiern. Ich war immer sehr aktiv, gesellig und sehr liebevoll meinen Lieben gegenüber.

 Nun müssen wir sehen, wie wir zu Recht kommen. Vielleicht können wir wieder etwas aufeinander zu gehen. Das würde mich sehr freuen!

 

Ihr Heinz P.

 

Birgit Mai - Demenzfachberaterin - AWO Seniorenzentrum "Am Rosengarten" in Mainz

 

 

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